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Pressemitteilung – 1. April 2022

Künstlerin Antje Schiffers betrachtet die Partnerstädte

Welche Rolle spielt die Kultur in urbanen Kontexten? Von dieser Frage ausgehend, hat die Künstlerin Antje Schiffers die Partnerstädte von Delmenhorst bereist, um dort als diplomatische Vertreterin und Korrespondentin der Städtischen Galerie zu recherchieren. Die künstlerisch verdichteten Erlebnisse sind vom 9. April bis zum 19. Juni in der Ausstellung „Antje Schiffers. Im Widerstand, im Aufbau, in der städtischen Kantine“ im Haus Coburg zu sehen.

Zur Vernissage am Freitag, 8. April, um 19 Uhr wird unter anderem eine kleine Delegation aus Allonnes, der ältesten Partnerstadt von Delmenhorst, erwartet. Anmeldungen zu dem Abend sind bis zum 6. April telefonisch unter (04221) 14132 oder per E-Mail an infostaedtische-galerie-delmenhorstde erbeten.

Für ihre Einzelausstellung setzte Antje Schiffers sehr wörtlich etwas um, das zum Kern von Partnerstädten gehört, nämlich das gegenseitige Kennenlernen und den Austausch zu nutzen, um Verbindungen herzustellen und voneinander zu lernen. Vorbereitend für ihre jeweils mehrtägigen Fahrten nach Lublin (Polen), Kolding (Dänemark), Allonnes (Frankreich), Eberswalde (Land Brandenburg) und Borisoglebsk (Russische Föderation) hat sich Antje Schiffers mit der Geschichte der Städtischen Galerie und mit der Stadt Delmenhorst selbst befasst.

Sie hat in der Stadtverwaltung, im Haus Coburg und im Nordwestdeutschen Museum für IndustrieKultur Interviews geführt. Beispielweise hat sie Rainer Duczek, den letzten Auszubildenden der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei, getroffen, die 1981 die Produktion einstellte. Sie führte Gespräche mit Margrid Kettler und Kurt Reissweber, beide einst bei dem Unternehmen Delmod beschäftigt, das bis 2009 existierte und für seine Damenkollektionen überregional bekannt war. Durch diese Begegnungen und Mikrogeschichten formte sich ein Image der Stadt Delmenhorst, das Antje Schiffers in den Partnerstädten vertrat.

In allen Städten sammelte Antje Schiffers Mitbringsel, seien es Textilien oder Figuren, Interviews, Videos, Fotografien oder ihre Notizen. Aus diesen zusammengetragenen Versatzstücken generiert sie die Ausstellung im Haus Coburg. Sie erzählt aus einer persönlichen Perspektive, fokussiert mitunter Details und Nebensächliches, das durch ihre Augen Gewicht erhält. Sie nutzt dabei jede Freiheit des künstlerischen Schweifens und ihre Erfahrung, dass sich kulturelle Eigenheiten manchmal erst durch den Blick einer Fremden erfassen lassen.

Dieses beobachtende Reisen ist nicht neu für Antje Schiffers. In jedem ihrer bisherigen Projekte hat sie die kooperative Zusammenarbeit mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren und in fremder Umgebung zum Kern ihrer künstlerischen Praxis gemacht. Das hat sie nicht nur an verschiedene Orte gebracht, sondern auch in ganz verschiedene Rollen versetzt. Antje Schiffers war unter anderem Blumenzeichnerin in Mexiko, Wandermalerin in Italien, Russland oder Usbekistan. Als Werkskünstlerin hat sie in der Hannoveraner Reifenindustrie gearbeitet, sie unternahm Tauschgeschäfte mit Landwirten wie mit Unternehmensberatern.

Man kann Antje Schiffers‘ Kunst der relationalen Ästhetik zuordnen. Mit diesem Begriff wird seit den 1990er Jahren installative Kunst beschrieben, die darauf zielt, soziale Beziehungen und Begegnungen zu generieren. Das Interesse verlagert sich in diesen Positionen weg von der Produktion originaler Kunstwerke, hin zu Nutzungsangeboten, die das Publikum direkt adressieren. Ganz verschiedene Interaktionen wurden unter diesem Begriff realisiert: Es wurde gemeinsam gekocht, diskutiert oder auch eine Wohnung zur freien Nutzung bereitgestellt. Nicht das Werk bildete den Mittelpunkt dieser künstlerischen Projekte, sondern das Ereignis der sozialen Interaktion.

Antje Schiffers‘ Inszenierung ihrer Städtereisen zielt auf einen ähnlichen Effekt. Es geht ihr weder um eine historisch korrekte Narration zur Stadtgeschichte und zu den internationalen Beziehungen. Genauso wenig geht es um Zeichnungen oder Gemälde, die sie kreiert und einem Kunstmarkt zuführt. Sie möchte im persönlichen Austausch einen Ort kennenlernen und diese Erfahrung durch eine Ausstellung vermitteln. Der Impuls, der von dieser Ausstellung ausgehen soll, ist, die Partnerstädte selbst zu besuchen und das Wagnis der Begegnung einzugehen.

Antje Schiffers realisierte ihre Fahrten von Juni 2021 bis Februar 2022. Sie reiste also unter den Bedingungen der Corona Pandemie und kam bei ihrem letzten Besuch in Borisoglebsk der kriegerischen Invasion in der Ukraine zeitlich sehr nah.

Diese Extremsituationen haben Europa in den vergangenen Monaten und Wochen vor existentielle Fragen gestellt, die auch die Funktion der Kultur betreffen. Denn das soziale Leben in einer Stadt und der gesellschaftliche Zusammenhalt einer Gesellschaft sind immer auch Ergebnis einer lebendigen Kulturlandschaft. Die Fragen danach, was fehlt, wenn Kultur fehlt, und wie sich abgerissene grenzüberschreitende Kontakte zukünftig wiederbeleben lassen, sind der Ausstellung in einem Subtext eingeschrieben.

In den Räumen des Hauses Coburg sind für alle Partnerstädte eigene Präsentationsflächen entstanden, an denen Antje Schiffers gemeinsam mit dem Leipziger Architekten Christian Göthner (lfm2) gearbeitet hat. Gebaut wurden diese Displays vom Baubetrieb der Stadt Delmenhorst und der Firma Sandkuhl, bevor Antje Schiffers mit Texten, Objekten und Wandzeichnungen die Räume bespielte.

Zur Ausstellung entsteht eine Internetseite. Statt in einer Publikation werden sowohl die Reisen als auch die Präsentation im Haus Coburg umfassend im digitalen Raum dargestellt. Die von der Künstlerin verfassten anekdotischen Texte zu den Partnerstädten sind in die jeweiligen Landessprachen übersetzt und so auch für die involvierten Institutionen in Dänemark, Frankreich, Polen und Russland besuchbar.

Um dem prozessualen Entwurf des Reiseprojekts gerecht zu werden, wird es auch während der Laufzeit der Ausstellung Ergänzungen im digitalen Raum geben. Die Website ist unter sistercities.antjeschiffers.de zu finden.

Die Ausstellung ist Teil des verschobenen Festprogramms „650plus“ zum Stadtjubiläum und wurde mit Sondermitteln der Stadt Delmenhorst unterstützt. Am 15. Juni 1371 wurde Delmenhorst das Stadtrecht verliehen. Die Corona-Pandemie hat verhindert, dass dieser Jahrestag 2021 feierlich begangen werden konnte.

Die Realisierung der Ausstellung und der Internetseite werden großzügig von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, der LzO Stiftung für Kunst und Kultur, dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der Oldenburgischen Landschaft ermöglicht.

Antje Schiffers, geboren 1967 in Heiligendorf bei Wolfsburg, studierte Kunst, Geschichte und Philosophie an der Hochschule für bildende Künste und der TU Braunschweig. Seither folgten zahlreiche Residenz-Stipendien und Preise. Detaillierte Informationen finden sich auf der Internetseite www.antjeschiffers.de.


Nr. 104|22 – Städtische Galerie Delmenhorst

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