Nordwolle
Nördlich der Bahnlinie Oldenburg-Bremen befindet sich in zentraler Lage Delmenhorsts mit dem Nordwolle-Areal eines der größten Industriedenkmale Europas. Als Zeugnis der gründerzeitlichen Fabrikarchitektur beeindruckt die Nordwolle mit ihren industriellen Gebäudekomplexen. Das ausgedehnte Gelände gilt als überzeugendes Beispiel für die Wiederbelebung einer innerstädtischen Industriebrache. Nach der Schließung des Werks entstand ein Stadtteil, der Wohnen mit Kultur, Bildung und Gewerbe verbindet und als Projekt an der Weltausstellung EXPO 2000 teilnahm.
Die Gründung der Norddeutschen Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei gab 1884 den entscheidenden Impuls für Delmenhorst zur Entwicklung vom Ackerbürgerstädtchen zum Industriestandort. Das weit verzweigte Imperium der Bremer Kaufmannsfamilie Lahusen beschäftigte zeitweilig mehr als 28.000 Mitarbeiter weltweit, davon 4.000 in Delmenhorst. Auf dem über 13 Hektar großen Gelände gestalteten Baufachleute gemeinsam mit der Unternehmensleitung ein einheitliches Erscheinungsbild des prosperierenden Werkes in einem sachlichen und doch repräsentativen Baustil. Lage, Dimensionierung und Konstruktion der einzelnen Gebäude waren durch ihre Funktion in der Fabrik vorgegeben. Das Gelände wird im Süden durch die Bahnlinie, im Norden und Westen durch die Delme begrenzt. Verkehrsanschluss und Wasserversorgung waren für die Ausrichtung der Anlage von Süden nach Norden bestimmend. Ein wenig abseits vom eigentlichen Stadtkern und durch eine massive Klinkerfront abgeschottet, bildete sich eine "Stadt in der Stadt" mit eigenem sozialen Gefüge. Eindrucksvoll spiegelt die historische Bebauung in ihrer funktionalen und sozialen Abstufung noch heute die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse am Ende des 19. Jahrhunderts wider.
Die Bedeutung des Komplexes geht weit über die einer schlichten Produktionsstätte hinaus. In unmittelbarer Nähe der Fabrikanlagen entstanden soziale Einrichtungen, wie etwa eine Badeanstalt, ein Krankenhaus, Einkaufsmöglichkeiten und eine Kantine, außerdem diverse Arbeiter- und Beamtenhäuser sowie die Villa der Fabrikantenfamilie mit einem weitläufigen Park. Der Sohn des Gründers, Carl Lahusen, "regierte" seinen Betrieb und seine Familie wie ein Patriarch. Er verstand sich nicht als Vorstand einer Aktiengesellschaft, sondern fühlte sich als Fabrikherr für das sittliche und materielle Wohlergehen seiner Belegschaft verantwortlich. Viele wohltätige Einrichtungen entstanden durch das Engagement seiner Ehefrau Armine. Sie stammte aus einer englischen Pastorenfamilie und hatte in ihrer Heimat die soziale Not der Industriearbeiter aus eigener Anschauung kennen gelernt.
Von einer ersten großen Bedrohung der Existenz als Folge der Weltwirtschaftskrise konnte sich das Unternehmen 1931 wieder erholen. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es einen erneuten Aufschwung. In den frühen 1980er-Jahren kam jedoch das endgültige Aus für die Produktion auf der Nordwolle. Das Areal verwaiste und verfiel zusehends, einige der eindrucksvollen Industriebauten fielen dem Abrissbagger zum Opfer. Seit 1983 wird die Nordwolle als Wohngebiet genutzt.
Einen Entwicklungsschub erfuhr das noch in weiten Teilen brach liegende Gelände mit der Rolle Delmenhorsts als Außenstandort der Weltausstellung EXPO 2000. Mittlerweile haben sich dort zahlreiche Unternehmen, öffentliche Einrichtungen sowie Kultur- und Bildungsstätten angesiedelt. Die weitgehend erhaltene historische Bausubstanz, die zentrale und ruhige Lage sowie die großflächigen Grünanlagen schaffen außerdem ein angenehmes Wohnumfeld.
Im Mittelpunkt des Quartiers steht das Fabrikmuseum. Sein ehemaliges Turbinenhaus mit Rundbogenfenstern bietet ein interessantes Ambiente für Ausstellungen, kulturelle Veranstaltungen und Sonderpräsentationen. Das Fabrikmuseum dokumentiert mit der Nordwolle das wichtigste Unternehmen der Delmenhorster Industriegeschichte von seiner Gründung bis zur Betriebseinstellung.
Das im Dezember 1997 eröffnete Stadtmuseum ist im ersten Maschinenhaus der Nordwolle von 1884, der späteren Lichtstation, angesiedelt. Es bietet in mehreren Abteilungen einen Rundgang durch die Geschichte der Stadt und früheren Grafschaft Delmenhorst. Seit 2006 bestehen die Museen der Stadt unter dem gemeinsamen Namen "Nordwolle Delmenhorst – Nordwestdeutsches Museum für IndustrieKultur".
Das ehemalige Rohwollelager wurde zum Veranstaltungszentrum umgestaltet und verbindet historische Industriearchitektur mit modernen Elementen. Das "com.media" bietet Platz für 400 Personen. Es kann für Tagungen, Festlichkeiten und andere Veranstaltungen genutzt werden. Als Kontakt für Buchungen steht die Nordwolle Veranstaltungszentrum GmbH & Co. KG unter Telefon (04221) 67878 oder per E-Mail zur Verfügung. commedia