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Pressemitteilung – 5. September 2024

Haus Coburg zeigt hybride Wesen und Klangkörper

Momente der Transformation, der Wechsel zwischen Existenzformen und das Uneindeutige bilden den thematischen Rahmen für die neue Duo-Ausstellung „The Cast“ (auf Deutsch: die Besetzung) im Haus Coburg. Caroline Achaintre und Raphael Sbrzesny bringen vielschichtige und assoziationsreiche Charaktere zusammen, die Fragen an unsere Eingebundenheit in die Welt stellen und zugleich fantasiereich über die Realität hinausweisen. Die Werke der beiden Künstler sind vom 14. September bis 12. Januar 2025 in der Städtischen Galerie Delmenhorst zu sehen.

Zur Eröffnung der Ausstellung lädt das Haus Coburg für Freitag, 13. September, ein. Die Veranstaltung an der Fischstraße 30 beginnt um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Nach einem kurzen Gespräch mit den beiden Künstlern zeigt Raphael Sbrzesny (Skulpturaktivierung und Stimme) mit Mattia Bonafini (Live-Elektronik und Synthesizer) um 20 Uhr eine Performance. Der Freundeskreis Haus Coburg sorgt mit einer Bar und einem Grill für das leibliche Wohl. Um die Platzkapazitäten für die Performance zu planen, bittet die Städtische Galerie Delmenhorst um eine Anmeldung bis zum 12. September per E-Mail an hauscoburgdelmenhorstde.

In ihren sinnlichen Wandteppichen, Keramiken und Aquarellen lässt Caroline Achaintre hybride Wesen und Formen in Erscheinung treten – im Spiel mit dem Drang nach Identifikation rufen die beseelt wirkenden Objekte verschiedene Assoziationen hervor. Die Frage, wie sich Geschichten in den Körper einschreiben, steht wiederum im Zentrum der Arbeit von Raphael Sbrzesny. Der Künstler entwickelt tragbare Skulpturen, die in Performances als Instrumente aktiviert werden können und eine musikalische Auseinandersetzung mit dem Körper, sozialen Rollen und gesellschaftlichen Fragen ermöglichen.

Obwohl beide unterschiedliche Ansätze und kontrastreiche Materialien wie Stahl und Wolle verwenden, teilen Achaintre und Sbrzesny Bezüge auf Körper, Identität und das Performative. Zudem ist das Interesse an Ritualen des Karnevals und dessen temporären Ausnahmezuständen ein verbindendes Element.

Mit der Tufting-Methode realisiert Caroline Achaintre großformatige Wandarbeiten aus Wolle. Wie Fell oder ungebändigtes Haar formen die herabhängenden Fäden Gebilde an der Schwelle zwischen Gegenstand und Abstraktion. In ihrer überbordenden Materialität, die einen direkten Bezug zur Haut und Berührung herstellt, geben die Wandteppiche oft verschiedene Charaktere, Formen und Objekte zugleich preis. So zeichnet sich bei dem Werk „M.A.Z.E“ (2023) schemenhaft ein tierähnliches Antlitz auf einer labyrinthischen Struktur aus schlauchartigen Verbindungen ab, während andere Werke vertraute Objekte auf verunsichernde Weise verlebendigen.

Für Achaintres Kunst ist das Unheimliche von zentraler Bedeutung. Mit dem Eindruck animistischer Beseelung und dem Fremdwerden des Vertrauten lädt die Künstlerin ihre Arbeiten mehrdeutig auf. Dabei markiert die Koexistenz verschiedener Ähnlichkeiten immer ein Dazwischen, das unfixierbar bleibt und zu einem dynamischen Dialog mit subjektiven Assoziationen einlädt.

Als Inspiration für ihre Werke dienen der Künstlerin eine Vielzahl von Quellen wie frühzeitliche Kunst, die ausdrucksstarke Emotionalität des Expressionismus, Popkultur, Horrorfilme und Science-Fiction oder auch verschiedene Karnevalstraditionen. Nahezu immer ist ein Objekt von Achaintre auch als Maske lesbar – ein Motiv, das sich auf Verwandlung und Dualität bezieht.

Das Potenzial wechselnder, nicht festgeschriebener Identitäten und „zweiter Körper“ steht auch im Zentrum der Arbeit des Bildenden Künstlers und Musikers Raphael Sbrzesny. Mit Skulptur, Installation, Performance und Musik erkundet er den Körper als einen Ort, an dem sich eine subjektive und zugleich von sozialen, gesellschaftlichen und systemischen Dynamiken durchzogene Geschichte einschreibt. Ein zentraler Gedanke des Künstlers ist, dass der Körper in heutigen neoliberalen Leistungsgesellschaften ständig unter psychischem Druck steht.

Zur Verarbeitung dieser Spannung stellt Sbrzesny dem (eigenen) Körper verschiedene Figuren als aufführbare „zweite Körper“ zur Seite. Hierfür entwickelt der Künstler tragbare Skulpturen, die oft an Korsette, fragmentierte Rüstungen, Skelette und verformte Organe denken lassen und zuweilen auf symbolisch aufgeladene Kostüme oder historische Kleidung verweisen. Montiert an Marschtrommelhalterungen, wie sie normalerweise in Spielmannszügen und beim Karneval gebraucht werden, lassen sich viele der Skulpturen in Performances als bespielbare Instrumente aktivieren, um das Verhältnis von Körper und Gesellschaft zu musikalisieren. Zum anderen erlauben sie die karnevaleske Aneignung anderer Rollen.

In der Ausstellung findet eine temporäre Gemeinschaft verschiedener Figuren zusammen, mit denen Sbrzesny unterschiedliche Formen des Drucks auf Subjekte reflektiert. Mit neuen, eigens für die Ausstellung entstandenen Arbeiten setzt der Künstler dabei seine Serie der Organe fort, die verinnerlichte psychische Zwänge skulptural verräumlichen.

Wie gewinnen wir neue Perspektiven auf die Geschichten und die gesellschaftlichen Ansprüche, die sich in unsere Körper eingeschrieben haben? Und welche Fragen stellen uns Achaintres irritierende hybride Wesen und mehrdeutige Formen, spielen sie doch mit vorgeprägten Formen des Blicks und der Zuschreibung? Die Städtische Galerie Delmenhorst inszeniert einen künstlerischen Dialog, der dazu einlädt, Relationen zwischen Körper und Gesellschaft und die Vielschichtigkeit des Selbst ebenso zu erkunden wie multiple und fluide Formen von Identität. Nicht zuletzt ermöglicht die Ausstellung auch ein Nachdenken über unsere existentielle Verstrickung mit anderen Lebewesen und über die Kraft, die in Transformation und dem Unkategorisierbaren liegt.

Caroline Achaintre (geboren 1969 in Toulouse) lebt und arbeitet in London und Halle. Sie absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Kunstschmiedin, bevor sie an den Kunstakademien Burg Giebichenstein in Halle, am Chelsea College of Art und am Goldsmiths College in London Bildende Kunst studierte. Zu ausgewählten Einzelausstellungen der Künstlerin gehören: Visual, Carlow (Irland), Neues Museum in Nürnberg, Kunsthaus Centre d’art Pasquart (Biel), CAPC musée d'art contemporain (Bordeaux), MO.CO Montpellier Contemporain, Belvedere 21 (Wien) und Tate Britain (London). Ihre Arbeiten waren zudem in Gruppenausstellungen im Palais de Tokyo (Paris), in der Kunsthalle Basel und bei der Baltischen Triennale zu sehen. Seit 2019 hält Achaintre eine Professur für Textile Kunst an der Burg Giebichenstein.

Raphael Sbrzesny (geboren 1985 in Oberndorf am Neckar) lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Freie Kunst, Bildhauerei, Neue Musik, Klassisches Schlagzeug, experimentelles Musiktheater und Theorie in Stuttgart, München, Bern und Paris. Sbrzesnys Arbeiten werden national und international in renommierten Institutionen gezeigt, unter anderem im Maxim Gorki Theater (Berlin), in der Staatsgalerie Stuttgart, Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Haus der Kunst München, beim ECLAT-Festival Neue Musik in Stuttgart, KW Institute for Contemporary Art (Berlin), in der Kunsthalle Düsseldorf und im Haus am Waldsee (Berlin). Von 2018 bis 2023 war er Professor für Kreation und Interpretation mit den Schwerpunkten Sound, Performance und Konzept an der Hochschule für Künste Bremen. Eine umfassende Publikation zu Sbrzesnys Arbeit erschien 2024 im Verlag Buchhandlung Walther und Franz König.

„The Cast“ wird von einem Rahmen- und Vermittlungsprogramm begleitet, das die Inhalte der Ausstellung und die Auseinandersetzung mit den beiden künstlerischen Positionen weiter vertieft. Bei der Eröffnung und während der Ausstellungslaufzeit gibt es Performances von Sbrzesny, in denen der Künstler einzelne Figuren aus seinem Repertoire zur Aufführung bringt.

Neben kuratorischen Rundgängen, Stippvisiten und Gesprächen bietet die Städtische Galerie Delmenhorst zudem ein umfassendes Vermittlungsprogramm mit kunstpraktischen Workshops für Kinder und Erwachsene an. Alle Informationen zum Programm gibt es im Internet unter www.hauscoburg.de. Zur Ausstellung erscheint auch ein Katalog im Hirmer Verlag.

  • Termin:
    Freitag | 13. September 2024 | 19 Uhr
    Städtische Galerie Delmenhorst | Fischstraße 30

Nr. 309|24 – Städtische Galerie Delmenhorst

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