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Pressemitteilung – 17. November 2022

Haus Coburg: Einzelausstellung von Wieland Schönfelder

Unter der titelgebenden Frage „Was ist verloren?“ zeigt die Städtische Galerie Delmenhorst ab Freitag, 25. November, die erste institutionelle Einzelausstellung des Berliner Künstlers Wieland Schönfelder im Dialog mit einer Figurinen-Mappe von El Lissitzky, die 1923 in Hannover entstanden ist.

Wieland Schönfelder arbeitet mit einem szenischen Verständnis von Skulptur, die ebenso gut Installation genannt werden könnte, da sie die Grenzen zwischen Figur, Raum und bewegtem Bild gekonnt ignoriert. Dabei greift der Berliner Künstler auf Motive zurück, die vertraut erscheinen und an Märchen, Western-Filme oder auch Theaterstücke erinnern. Diese enge Anlehnung an bekannte Erzählstrukturen erleichtert den Einstieg in seine Narrative. Erst auf den zweiten und dritten Blick wird deutlich, dass der Betrachter zwischen Erzählfetzen steht, die keine lineare Geschichte, keinen Höhepunkt und keine Konfliktlösung, aber eine sehr prägnante Stimmung, anbieten.

Seine Figuren gleichen Gliederpuppen, die flexibel in verschiedene Haltungen gebracht werden können, um einen prototypischen Ausdruck darzustellen. Häufig verharren sie bei Schönfelder in expressiver körperlicher Aggression oder sexualisierten Posen und mimen heftige Gefühlsregungen. Es ist den Figurengruppen anzusehen, dass ihr Ursprung im Theater liegt, denn das ist der biografische Hintergrund des Künstlers.

Schönfelder hat bereits als Kind Theater gespielt, stand beim Jugendtheater der Volksbühne in Berlin auf der Bühne, studierte in Wien Schauspiel und arbeitete für diverse Film- und Theaterproduktionen. Nicht zuletzt dadurch gelingen ihm Inszenierungen, die dramaturgisch alle Register ziehen und im Ausstellungsraum neu und überraschend auftreten.

Für die Ausstellung im Haus Coburg hat Schönfelder eine neue Werkgruppe entwickelt, die eine Figurinen-Mappe von El Lissitzky zum Ausgangspunkt hat. Diese Mappe ist 1923 auf Einladung der Kestner Gesellschaft in Hannover entstanden. El Lissitzky konzentriert sich darin auf eine Oper von Michael Matjuschin, die 1913 unter dem Titel „Sieg über die Sonne“ in Moskau erstaufgeführt wurde, Bühnenbild und Kostüme lieferte Kasimir Malewitsch. Thema dieses Bühnenwerks ist das Fortschrittsstreben der Menschheit, die bei ihren hochgesteckten Zielen sogar die Sonne vom Himmel holt und besiegt. Die Konsequenzen für diesen Pyrrhussieg sind Orientierungslosigkeit und Chaos.

El Lissitzky verarbeitet die Oper zehn Jahre später in Deutschland und bringt die Edition „Die plastische Gestaltung der elektromechanischen Schau ‚Sieg über die Sonne‘“ heraus. Sein Fokus liegt nicht auf der Hand­lung, sondern auf der Inszenierung und Formfindung des Stücks. Neun Protagonisten der Oper konstruiert er aus geometrischen Grundformen, die eine mehrdimensionale Beweglichkeit suggerieren und Perspektiven ignorieren. Als wichtiger Vertreter der russischen Avantgarde verfolgte El Lissitzky in den 1920er-Jahren noch eine positivistische Vision von utopischer Gesellschaft. Während die prototypischen Figurinen bei El Lissitzky eine zukunftsorientierte Aufbruchsstimmung vermitteln, steht die Trauer und Melancholie im Zentrum der Installation von Wieland Schönfelder. In multimedialer Perspektive widmet er sich der Bühne als Theatrum Mundi, in dem sich persönliche Konflikte zur Gesellschaftsanalyse auswachsen. Nicht der Sieg über die Sonne, sondern ihr Verlust ist in der Bearbeitung von Wieland Schönfelder das zentrale Motiv. Seine Folgen sind für die Figuren nicht kalkulier- oder absehbar, und die individuelle Verunsicherung bekommt gesellschaftliche Dimensionen. Die Städtische Galerie Delmenhorst zeigt einen künstlerischen Dialog, bei dem es um das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft und letztlich um die gesellschaftliche Relevanz der Kunst geht.

Wieland Schönfelder (1985), geboren und wohnhaft in Berlin, hat am Konservatorium in Wien Schauspiel studiert, bevor er von 2012 bis 2018 ein Studium der freien Kunst an der Universität der Künste in Berlin in der Klasse von Manfred Pernice absolvierte. Unterbrochen wurde sein Studium von einem Auslandsjahr, das er am renommierten Schools of Arts Institute in Chicago verbrachte, wo er sich mit den performativen Videoinstallationen von Paul McCarthy beschäftigte. Doch während sich Paul McCarthy am Fernsehprogramm orientiert, Reality-Formate, Werbung und Soaps zitiert, um Gesellschaft in den Blick zu nehmen, wildert Wieland Schönfelder für seine Motivfindung in der Film- und Theaterwelt. Für erste Präsentationen im Kunstbetrieb nutze er in den letzten Jahren Off-Spaces in Berlin, Wien, Porto und Köln. Er ist momentan in der Gruppenausstellung „Smaller Worlds. Diorama in Contemporary Art“ am Museum Ludwig in Budapest vertreten. Das Haus Coburg richtet die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers aus. Weitere Informationen zu Wieland Schönfelder gibt es im Internet unter wielandschoenfelder.com.


Nr. 411|22 – Städtische Galerie Delmenhorst

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